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Das Gemeinwohl und der Kapitalismus
Viele hundert Unternehmen folgen den Idealen der Gemeinwohl-Ökonomie. Doch was passiert, wenn sie auf den Finanzkapitalismus treffen? Spätestens dann stellt sich die Frage: Kann die Gemeinwohl-Ökonomie nicht nur Betriebe verändern, sondern auch das Wirtschaftssystem?
Christian Felber steht gern Kopf. Wenn der gelernte Ausdruckstänzer und Erfinder der Gemeinwohl-Ökonomie einen Vortrag hält, beginnt er gerne mal mit einem Kopfstand. Dieser hat durchaus Symbolkraft: Mit seinem Konzept der Gemeinwohl-Ökonomie will Felber die herrschende Wirtschaftsordnung auf den Kopf stellen. Der Kapitalismus „fördert die schlechtesten Eigenschaften des Menschen, nämlich Gier, Geiz und Egoismus“, sagt der österreichische Publizist. Die Folgen seien heute sichtbarer denn je: die ständig wachsende Kluft zwischen Arm und Reich, das Diktat der Ökonomie über viele Lebensbereiche und die globale Umweltzerstörung. Deshalb brauche es eine Wirtschaftsweise, die sich am Gemeinwohl orientiert. In diesen Punkten stimmen viele Kritiker des herrschenden Wirtschaftssystems mit Felber überein. Strittig ist jedoch die Frage, ob die Gemeinwohl-Ökonomie wirklich eine Alternative zum Kapitalismus werden kann?
Die unerbittliche Macht des Marktes
Kein Zweifel, das Konzept der Gemeinwohl-Ökonomie stößt in vielen Unternehmen auf Resonanz. Mehr als 500 Betriebe und ihre Mitarbeiter/innen folgen seit vielen Jahren Felbers Idee, neben der betriebswirtschaftlichen auch eine Gemeinwohlbilanz vorzulegen. Aus dieser geht hervor, wie es um die Arbeitsbedingungen im Unternehmen steht, um den Gesundheitsschutz, die Solidarität mit Minderheiten, um die Beteiligungs-Möglichkeiten für die Beschäftigten oder um die ökologische Nachhaltigkeit. Je nachdem, wie gut das Unternehmen diese Ziele umsetzt, vergeben die Beschäftigten Punkte. Sind 1000 erreicht, dann dient das Unternehmen auf optimale Weise dem Gemeinwohl. So weit, so gut.
Doch dann beginnen oft die Probleme. „Betriebe, die sich um mehr Mitbestimmung, ökologische Nachhaltigkeit und bessere Arbeitsbedingungen kümmern, haben höhere Kosten und müssen höhere Preise verlangen“, sagt Antje von Dewitz, die Geschäftsführerin des Sportartikelherstellers Vaude, einem Vorzeige-Unternehmen der Gemeinwohl-Bewegung. „Und in der harten Konkurrenz des Marktes werden Unternehmen nicht an ihrem Beitrag zum Gemeinwohl gemessen, sondern an ihrem finanziellen Erfolg.“
Der härteste Gegner der Gemeinwohl-Unternehmer ist der globale Finanzkapitalismus. Dieser hat längst nicht mehr viel mit dem zu tun, was in Deutschland als soziale Marktwirtschaft verklärt wird. In der Theorie funktioniert sie einfach: Verbraucher melden in den Geschäften ihre Bedürfnisse an. Unternehmen produzieren, was die Menschen kaufen wollen, weil sie damit gut verdienen. Gleichzeitig hält die Konkurrenz zwischen den Unternehmen die Preise niedrig und – im Idealfall – auch die Gewinne. Wenn jemand in Not gerät, fängt ihn die Sozialpolitik auf, soziale Marktwirtschaft eben.
Die Realität sieht allerdings anders aus. Die 500 größten Unternehmen der Welt besitzen eine ungeheure Marktmacht, ihre Umsätze sind größer als das Bruttoinlandprodukt kleinerer Staaten. Oft genug befinden sie sich in der Hand anonymer Finanzfonds. Aufgrund der Schwäche der Politik konnten sie immer mehr Bereiche des Lebens dem Diktat der Rendite unterwerfen, auch in vielen Krankenhäusern und Pflegeheimen kommt erst der Profit und dann der Mensch. Produziert wird zu den geringst möglichen Kosten, oft in entlegenen Regionen der Erde. Ziel ist die höchst mögliche Rendite als Lohn für die Investition der Eigentümer. Menschenrechte, Arbeitnehmerrechte oder die Folgen für die Umwelt sind zweitrangig.
Befreiung des Marktes vom Kapitalismus
Spätestens hier stellt sich die Frage, ob die Gemeinwohl-Ökonomie diesen Finanzkapitalismus vom Kopf auf die Füße stellen kann. Die Antwort lautet: Nur, wenn die Regierungen die Werte des Gemeinwohls zu den Zielen ihrer Wirtschaftspolitik machen. Sie könnten mit einem einfachen Schritt beginnen: Nämlich alle Produkte mit einem Siegel, einem Code, einem grünen Ampelzeichen zu kennzeichnen, wenn sie aus einem Unternehmen stammen, das in der Gemeinwohlbilanz eine Mindestpunktzahl erreicht hat. Kritische Verbraucher könnten dann gezielt solche Produkte kaufen.
Viel wirkungsvoller wäre ein zweiter Schritt: Wenn Gemeinwohl-Unternehmen weniger Steuer zahlen müssten oder anderweitig gefördert würden. Dann hätten sich die Konkurrenzbedingungen auf dem Markt zugunsten von Gemeinwohl-Unternehmen wie Vaude verändert, die heute höhere Kosten haben.
Da viele Unternehmen auf dem Weltmarkt konkurrieren, muss auch der internationale Handel den gleichen sozialen und ökologischen Regeln unterworfen werden. Erst wenn Ausbeutungsprodukte und umweltbelastende Waren mit hohen Zöllen verteuert werden, steigen die Chancen von Gemeinwohl-Unternehmen.
Doch selbst dann ist die Wirtschaft noch immer der Macht der großen Finanzfonds, der Investoren, unterworfen. Deshalb fordert Felber neue Eigentumsformen wie Genossenschaften. Die Ausschüttung von Gewinnen sollte auf jene Eigentümer beschränkt bleiben, die im Unternehmen mitarbeiten. Erst dann würde die Wirtschaft die Vorgabe des Grundgesetztes erfüllen: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll der Allgemeinheit dienen“, heißt es in Artikel 14, Absatz 2.
Diese Veränderungen der volkswirtschaftlichen Rahmenbedingungen würden, so Felber, die Marktwirtschaft vom Kapitalismus befreien: „Es gäbe dann nach wie vor private Unternehmen und privates Eigentum. Aber das kapitalistische Element und der kapitalistische Charakter dieser Marktwirtschaft, in dem alle nach der höchst möglichen Rendite streben, wäre als Ganzes überwunden“.
Hoffnung trotz allem
Angesichts der ökonomischen und politischen Macht des globalen Finanzkapitalismus und der Abhängigkeit der Politik von dieser Macht erscheint diese Hoffnung derzeit sehr idealistisch, wenn nicht sogar illusorisch. Denn: Für solche Veränderungen fehlen derzeit in den Parlamenten die politischen Mehrheiten. Andererseits haben mehrere Millionen Menschen gegen Freihandelsabkommen wie TTIP demonstriert, zehntausende fordern ein Gesetz für faire globale Lieferketten, eine klimaverträgliche Wirtschaft oder die Enteignung von Wohnkonzernen. Und sie erleben, wie der Finanzkapitalismus in jeder Krise – von der Finanzkrise über die Klimaerwärmung bis zur Corona-Pandemie – überfordert ist. Regelmäßig muss die Marktwirtschaft vom Staat gerettet werden. In solchen Krisen erfahren die Menschen am eigenen Leibe, dass ein Wirtschaftssystem auf der Grundlage von Gier, Egoismus, Rendite und (angeblich) freiem Markt keine tragfähige Lebensperspektive bietet – weder für die Einzelnen und schon gar nicht für die Gesellschaft.
Umso wichtiger ist das Gegenkonzept der Gemeinwohl-Ökonomie. Mit ihm beweisen Unternehmen schon heute „im Kleinen“, dass eine humanere und nachhaltigere Wirtschaftsweise möglich ist. Und wenn sie im Kleinen möglich ist, könnte sie auch als Blaupause für den Umbau des Kapitalismus dienen – wenn eine starke politische Bewegung dies will.
Wolfgang Kessler ist Ökonom und Wirtschaftspublizist. Er war von 1999 bis 2019 Chefredakteur von Publik-Forum
Wolfgang Kessler vertieft seine Thesen in seinem aktuellen Buch „Die Kunst, den Kapitalismus zu verändern“, Publik-Forum Verlag. 15,00 Euro
(Alle Besteller/innen bei Publik-Forum, Postfach 2010, 61410 Oberursel erhalten ein handsigniertes Exemplar.)
Diakonie warnt vor Rolle rückwärts beim Frauenbild durch Corona-Pandemie
- Gleichstellung auf dem Arbeitsmarkt nicht aus dem Blick verlieren
- Rollenbild darf sich nicht in Care-Arbeit und Kinderbetreuung manifestieren
- Politik und Arbeitgeber müssen frauen- und gleichstellungspolitische Schieflage verhindern
Die Diakonie Deutschland warnt in der Corona-Krise vor einer Rolle rückwärts beim Frauenbild und der Geschlechtergerechtigkeit. Die Corona-Pandemie verschärft aktuell die berufliche Ungleichheit zwischen berufstätigen Frauen und Männern, so auch das Ergebnis einer jüngst veröffentlichten Online-Befragung im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung. In Haushalten mit mindestens einem Kind unter 14 Jahren haben 27 Prozent der Frauen, aber nur 16 Prozent der Männer ihre Arbeitszeit reduziert, um die Kinderbetreuung zu gewährleisten. Bei Haushalten mit geringem oder mittlerem Einkommen fällt die Diskrepanz noch größer aus. Danach lastet die Corona- bedingte zusätzliche Betreuungs- und Erziehungsarbeit mehrheitlich auf den Frauen, auch reduzieren berufstätige Frauen weitaus häufiger als Männer ihre Arbeitszeit oder arbeiten spät abends oder früh morgens. Das befördert die bereits bestehende frauen- und gleichstellungspolitische Schieflage und schadet erheblich der Gesundheit von Frauen.
"Für Frauen hat sich die ohnehin schwierige Situation durch Corona erheblich verschärft. Sie müssen Tele-Arbeit, Beschulung und Betreuung der Kinder, insbesondere als Alleinerziehende, alleine bewältigen, was schlicht nicht funktioniert. Homeoffice ist keine Lösung, wenn die Kinder nicht in die Kindertagesstätte oder Schule können und zudem die komplette Versorgung der Familie auf den Schultern der Frauen lastet", sagt Maria Loheide, Diakonie- Vorstand Sozialpolitik.
"Die über Jahrzehnte erkämpfte Gleichstellung und Verbesserung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie für Frauen und Männer droht zu kippen. Alte Muster und Rollenbilder feiern Hochkonjunktur. Frauen arbeiten trotz guter Ausbildung und Berufsabschlüsse ohnehin schon oft nur in Teilzeit, wenn Kinder da sind.
Jetzt drohen ihnen auch noch weitere erhebliche Einkommenseinbußen aufgrund von Kurzarbeit. Die Gefahr ist groß, dass sie den Anschluss auf dem Arbeitsmarkt verlieren und erhebliche Einbußen bei der eigenen Karriere hinnehmen müssen.
Viele Frauen fühlen sich in einer Sachgasse und sind mit ihren Kräften am Ende", so Loheide.
Die Diakonie Deutschland spricht sich für eine deutliche Entlastung von erwerbstätigen Frauen und Männern aus, die Familie und Beruf im Home Office vereinbaren müssen.
Dazu gehört die baldige Öffnung von Kitas und Schulen für alle und auch die Versorgung von zu pflegenden Angehörigen beispielsweise wieder in einer Tagespflege.
"Der drohende Rollback macht mir große Sorgen. Wir dürfen die Frauen mit den Problemen nicht allein lassen. Die Fortschritte der vergangenen Jahrzehnte in der Vereinbarkeit von Beruf und Familie für Männer und Frauen, die Erwerbstätigkeit von Frauen und Karrierechancen von Frauen dürfen durch die Krise nicht an Dynamik verlieren. Ganz im Gegenteil, wir müssen jetzt erst recht aus diesen Erfahrungen lernen, Initiativen und Bündnisse starten und politische Maßnahmen zur Gleichstellung fordern", so Loheide.
Um einen Rückfall in alte Rollenmuster zu verhindern, und um nicht weiter die
Einkommens- und Vermögensunterschiede von Männern und Frauen anwachsen zu lassen, ist neben der besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die Aufwertung frauenspezifischer sozialer Berufe und eine gleichwertige Entlohnung unerlässlich. Dadurch werden verstärkt Anreize geschaffen, dass mehr als bisher familiäre Aufgaben partnerschaftlich zwischen den Müttern und Vätern geteilt werden. Hier könnten Teilzeitregelungen mit Lohnersatz eine Lösung sein.
Die
Corona-Krise hat mehr als deutlich gezeigt, dass die Politik bei ihren weiteren Entscheidungen familienpolitische und damit gleichstellungs- und frauenpolitische Belange stärker in den Blick nehmen muss. Aber auch Arbeitgeber müssen Rahmenbedingungen schaffen, die Eltern entlasten und Druck von ihnen nehmen, um somit eine partnerschaftliche Aufteilung der Sorgearbeit zu ermöglichen - nur so kann die Gesellschaft als Ganzes gewinnen.
Mehr Informationen:
Umfrage Hans-Böckler-Stiftung:
https://www.boeckler.de/de/boeckler-impuls-ruckschritt-durch-corona-23586.htm
https://www.diakonie.de/coronavirus-hilfe-und-infos
https://www.diakonie.de/pflegeversicherung
https://www.diakonie.de/gleichstellungsatlas/
Für Rückfragen und weitere Informationen stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung.
Kathrin Klinkusch, Pressesprecherin
Pressestelle, Zentrum Kommunikation
T +49 30 65211-1780
F +49 30 65211-3780
Diakonie Deutschland
Evangelisches Werk für Diakonie und Entwicklung e.V.
Caroline-Michaelis-Str. 1, 10115 Berlin
Die Viren und der Kapitalismus
Fünf Lehren, die schon heute aus der
Corona-Krise gezogen werden können
von Wolfgang Kessler
Man traut seinen Ohren nicht: Da fragt ein CDU-Landesgesundheitsminister, ob es die Krankenhäuser mit ihrem Spardiktat nicht übertrieben hätten. Wo der Begriff »Enteignung« noch vor wenigen Monaten hasserfüllte Reaktionen auslöste, werden jetzt Verstaatlichungen diskutiert. Ökonomen und Politiker brandmarken Hamsterkäufe und appellieren an die Solidarität, obwohl doch seit Jahrzehnten gepredigt wird: »Gut ist, was dir nützt.«
Offenbar braucht es ein tödliches Virus, damit die Mehrheit in Politik und Wirtschaft erkennt, dass der freie Markt allein keine Krisen bewältigen kann. Doch wie lange wird diese Einsicht bestehen? Wie groß die Gefahr ist, dass Politik, Wirtschaft und auch viele Bürger nach Krisen einfach die »Reset-Taste« drücken, zeigt die Finanzkrise von 2008. Damals rettete der Staat die Banken mit dreistelligen Milliardenbeträgen. Schon nach wenigen Monaten wurde wieder gezockt; die Finanzinvestoren sind heute mächtiger denn je.
Auch jetzt würden viele am liebsten gleich auf die Reset-Taste drücken. Dabei wirft die Corona-Krise nicht nur Fragen an die Entwicklung des globalen Kapitalismus auf, sondern offenbart auch das große Potenzial an Solidarität und Kreativität, das in den Menschen steckt. Folgende Lehren lassen sich aus dieser Krise ziehen:
Soziale Gerechtigkeit fördern
Unsere Gesellschaft ist fragil. Großunternehmen haben hohe Reserven, viele Menschen sichere, gut bezahlte Jobs und Ersparnisse. Aber: Millionen Arbeitnehmer erhalten zwar Kurzarbeitergeld, zittern jedoch um ihre Arbeitsplätze. Für Hunderttausende Kleinunternehmen, Solo-Selbstständige, Kulturschaffende und Geringverdiener sind Geschäftspausen existenzbedrohend, für Millionen Hartz-IV-Bezieher oder Obdachlose ist die Krise lebensgefährlich. Es ist deshalb richtig und wichtig, diesen Menschen mit unkonventionellen Strategien zu helfen: am besten mit dem sogenannten Helikoptergeld. Dieses wird sogar von Experten des hochkapitalistischen Internationalen Währungsfonds empfohlen. Es handelt sich um neues Geld, das die Zentralbanken »schöpfen«, also drucken. Es wird den Menschen direkt ausgezahlt, ohne dass sie es zurückzahlen müssen. Damit ließe sich für viele bedrohte Selbstständige ein bedingtes Grundeinkommen bis zum Jahresende bezahlen – für viele Arme höhere Hartz-IV-Sätze. Die viel beschworene Inflationsgefahr ist gering, da die Zentralbanken bereits in den vergangenen Jahren die Geldmenge durch Billigkredite erhöht haben, ohne dass die Preise für Alltagsprodukte merkbar gestiegen wären.
Doch mindestens so wichtig wie Vorschläge zur Bewältigung der akuten Krise sind wirtschafts- und sozialpolitische Überlegungen für die Zukunft: Braucht es nicht einen Schutzschirm für die Ärmeren und diejenigen, die sie betreuen? Braucht es nicht dauerhaft höhere Hartz-IV-Sätze? Oder ist nicht vielleicht doch ein bedingungsloses Grundeinkommen sinnvoll, das allen Bürgerinnen und Bürgern die Existenzängste nimmt? Sollte sich der Staat nicht dauerhaft an Branchen wie der Automobilwirtschaft oder der Luftfahrt beteiligen, denen durch die Klimakrise umfangreiche Veränderungen ins Haus stehen? Und wäre es nicht gerade jetzt notwendig, umfassend in Wärmedämmung, Solarmodule auf Dächern und Windkraftanlagen zu investieren, um Handwerksbetrieben zu helfen, Arbeitsplätze zu schaffen und für den Klimaschutz vorzusorgen?
Heilen und Pflegen ohne Rendite
Seit 25 Jahren herrscht im deutschen Gesundheits- und Pflegesystem ein rigider Kostendruck. Viele Einrichtungen gehören renditeorientierten Finanzinvestoren. Jetzt rächt sich, dass sich die Regierungen vor etwa zwanzig Jahren aus der Herstellung von Impfstoffen zurückgezogen haben, weil sie ihnen zu teuer war. Private Konzerne entscheiden seither darüber, nach welchen Impfstoffen geforscht wird, streng nach ihren Gewinnaussichten. Und die Kostendrücker haben noch mehr zu bieten: Erst vor wenigen Monaten forderte eine Studie der Bertelsmann-Stiftung, die Zahl der Krankenhausbetten zu halbieren, weil sie zu teuer seien. Unter diesem Kostendruck verwundert auch der zeitweise Mangel an Schutzanzügen und Schutzmasken nicht.
In der Krise schlagen sich Ärzte und Pflegekräfte wirklich gut. Doch der Mangel an Personal und Material tritt mit jedem Tag offener zutage. Operationen werden verschoben, Patienten leiden. Für die Zukunft kann dies nur heißen: Das Gesundheits- und Pflegesystem darf nicht nach Rendite- oder Spardiktaten organisiert werden, sondern nach den Bedürfnissen der Patienten – und in Vorsorge für mögliche Notlagen, die nie ausgeschlossen sind. Mehr Personal, mehr Reserven – das kann und muss sich eine reiche Gesellschaft leisten.
Globales Agrarsystem begrenzen
Viele Experten sind sich einig: Die neuartigen Viren der vergangenen Jahre, das Corona-Virus eingeschlossen, hängen eng mit der Globalisierung der Wirtschaft, vor allem der Ernährungswirtschaft, zusammen. Für Professor Jens Holst, Arzt und Gesundheitswissenschaftler an der Hochschule Fulda, »führt das Bestreben des Agro-Business, den internationalen Lebensmittelmarkt zu beherrschen, in vielen Entwicklungs- und Schwellenländern zu Landraub und zu ständiger Erweiterung der Monokulturen«. Diese Entwicklung treibt die Entwaldung voran und setzt Krankheitserreger auf Tieren frei, die dann auf die lokale Viehzucht und auf Menschen überspringen. »Es braucht nur wenige Wochen von den Flughunden im Kongo, die vermutlich das Ebolavirus übertragen, bis zu den Sonnenanbetern in Miami, die an dem Virus sterben«, fügt der US-amerikanische Evolutionsbiologe Robert Wallace hinzu.
Überhaupt die Globalisierung: Sie trägt zwar zum Wohlstand der Deutschen bei. Allerdings zeigt die Corona-Krise die Abhängigkeiten, die daraus entstehen. Die Versorgung mit Medikamenten oder notwendigen Ersatzteilen ist plötzlich gefährdet. Zu verhindern sind diese Folgen der Globalisierung nur, wenn die industrielle Agrarwirtschaft ebenso begrenzt und verändert wird wie die industrielle Globalisierung. Dies wird schon allein durch die Klimakrise notwendig: Ein wachsender Welthandel, immer mehr Transporte und ein zunehmender Tourismus sind mit einer klimaverträglichen Weltwirtschaft nicht vereinbar. Deshalb lautet die Lehre: Mehr Regionalisierung, mehr Europäisierung, weniger Globalisierung.
Bürgerrechte bewahren
Vor wenigen Wochen galten Geschwindigkeitsbegrenzungen noch als Anschlag auf die individuelle Freiheit. Seither wird die individuelle Freiheit täglich mehr eingeschränkt. In Zeiten des Corona-Virus gibt es dafür Gründe. Dennoch scheinen autoritäre Versuchungen durch, wenn Politiker allzu schnell von Ausgangssperren reden und diese sogar – wie kurzzeitig geplant – mithilfe von Handydaten kontrollieren lassen wollen. Diese Versuchungen gehen in bestimmten Kreisen der Wirtschaft einher mit einer wachsenden Bewunderung des chinesischen Systems, einer Mixtur von Kapitalismus und Diktatur, Überwachung und Effizienz. Deshalb zählt die Stärkung der Bürgerrechte gegen wachsende autoritäre Gesinnungen zu den wichtigsten Aufgaben nach der Corona-Krise.
Gemeinsinn wertschätzen
Wie in der Flüchtlingskrise reagieren die allermeisten Bürgerinnen und Bürger auch auf die Corona-Krise mit Solidarität, Gemeinsinn und viel Kreativität. Auch wenn Medien und bestimmte Politiker gern auf Ausnahmen (vor allem unter Jugendlichen) verweisen, so ist doch offensichtlich, wie schnell Unternehmen auf Home-Office umgeschaltet haben, wie viele ältere Menschen von Jüngeren versorgt werden, wie sehr Bürger die erzwungene Selbstbegrenzung für sich als Chance zur Entschleunigung entdeckt haben. Es sind diese Qualitäten, die für das Leben in einer klimaverträglichen, humanen Wirtschaft von morgen erfolgversprechender sind als die ewige Hatz nach immer mehr, immer schneller und immer weiter.
Es war Bundespräsident Frank Walter Steinmeier, der unlängst versprach, dass »die Welt nach der Corona-Epidemie eine andere sein wird«. Wenn die Pandemie tatsächlich zu einem Umdenken hin zu einer zukunftsfähigen Welt für alle führt, könnte er recht haben.
Wolfgang Kessler ist Chefredakteur a. D. von „Publik-Forum“
Lesermeinungen zu unserem Beitrag "Fair statt billig"
in unserem Infoblatt 02-2015
Gerd Junior (12.02.2015):
Liebe Dagse,
im Informationsblatt Nr. 02/2015 bittet Ihr um Infos zum fairen Einkauf:
Die Kirchengemeinde Poppenbüttel, Bezirk Philemon (Poppenbütteler Weg 97), schenkt bei den Veranstaltungen Kaffee und Wein aus fairem Handel aus.
Gemeindeglieder können nach dem Gottesdienst fair gehandelte Waren kaufen.
Mit freundlichem Gruß
Gerd Junior
Lesermeinungen zu unserem Beitrag "RHP - das tut weh"
in unserem Info-Blatt 11-2014
Jan-Peter Wilckens (23.12.2014):
Lieber Walter,
ich danke Dir sehr für Deine Antwort. Ja, bleibt unbedingt 'dran' - DAGS ist für mich ein deutliches Zeichen für unsere Gemeinschaft, diakonisches Handeln zu konkretisieren.
Den Widerstand gegen die Veröffentllichung des Beitrages im November habe ich eher so verstanden, die vorhandenen 'Kanäle' in den bestehenden Leitungsgremien zu nutzen. Natürlich weiß ich nicht, ob es da Misserfolgs-Erfahrungen gegeben hat, die diese Form der Veröffentlichung notwendig erscheinen ließen.
Ich grüße Dich und alle im DAGS-Konvent Engagierten mit 'Ja, es hat Zweck'!
Wilhelm Welzin (07.01.2015):
Ihr Lieben, ich bin hoch erfreut über Eure Antwort an den Vorsteher. Wirklich hocherfreut. Das wollte ich nur mal schnell zum Ausdruck bringen. Ach ja: Frohes Neues Jahr, sehe den weiteren Texten in dieser Sache gespannt entgegen!
eine Leserin des Info-Blattes, welche anonym bleiben möchte (07.01.2015)*
Hallo Mathias,
ich finde Euer aktuelles Informationsblatt sehr gut!
Ich bitte Euch, im Bemühen um bessere Arbeitsverhältnisse nicht nachzulassen!
Was mich mal interessieren würde, warum die EKD einen Papiertiger verfasst und dann kein Interesse an der Umsetzung hat. Das macht die Kirche noch unglaubwürdiger als sie für viele Menschen schon ist. Gibt es in diese Richtung auch Stellungnahmen?
Vielen Dank für Eure Arbeit!
* der Name ist DAGS bekannt

Brüder- und Schwesterntag 2014
Workshop 8: „Ungerechte Arbeitsverhältnisse
– Wer empört sich?“
Aufgelistete Argumente:
Diakonie noch diakonisch? Was unterscheidet diakonische Arbeitgebert von kommerziellen?
Durch pastorale Themen- und Finanzentscheider nicht wirklich gehört zu werden. (Pröpste machen, was sie wollen – im Rahmen der „freiheitlich-demokratischen“ Synodalstruktur.
Personalentwicklung in Kirche fehlt für MitarbeiterInnen (DiakonInnen)
Arbeitsverhältnisse in den Entwicklungsländern „Clean Clothes“ !?
Unternehmenskultur! Schlechte Kommunikation zwischen Leitung und Mitarbeitern
Keine Festeinstellung zum Tariflohn – Beiträge zur Rentenversicherung reichen nicht für auskömmliche Rente
„Outsoursing“ bei meinem ehemaligen Arbeitgeber
Augsburger Unternehmerin, die gerechte Arbeitsplätze geschaffen hat (Tina Trinkwater)
Projekte chance(nlos) zur Festeinstellung
Aushang im Plenarsaal:
Ist die Diakonie noch diakonisch? Was unterscheidet diakonische Arbeitgeber von kommerziellen?
Diakonie und Kirche werden in der Öffentlichkeit als Einheit wahrgenommen, gehen im Arbeitsrecht aber getrennte Wege.
Empörung setzt Solidarität voraus. Die Organisationsstrukturen in Kirche und Diakonie verhindern Solidarität.
Im Rauhen Haus finden wir die Ausgliederung von Reinigungskräften und Hausmeistern ungerecht.